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Kompetenzflyer

Experimentieren | Erforschen | Erfinden | Gestalten

Die Schülerinnen und Schüler bilden ihre Kreativität, indem sie sich als Person einbringen, auf Gestaltungsprozesse in der Gruppe einlassen und eigenständige Ideen entwickeln.
Gestaltungsprozesse LP21
Das Kompetenzmodell "Kompetenzflyer" beleuchtet das Handeln der Lehrperson beim Anleiten offener Lernsettings, in denen Schüler·innen selbstgesteuert arbeiten. Welche didaktischen und personalen Kompetenzen braucht es dazu? Gezielt werden Entwicklungsbereiche und konkrete Handlungsanregungen angezeigt, um deine Anleitungsstrategien im Unterricht zu unterstützen und dein didaktisches Handeln weiterzuentwickeln.
Indem Du einzelne Kompetenzbereiche in der obenstehenden Grafik anklickst, gelangst du zu den «Impulsen», den Handlungsanregen und Reflexionsfragen.
Die Impulse sind keine Anleitungen im Sinne von «Tipps und Tricks». Sie regen vielmehr zu einem autonomen, selbstgesteuerten Lernweg zur eigenen Professionalisierung an.
Die Impulse sind zwar im Zusammenhang mit dem Anleiten musikalischer Gestaltungsprozesse entstanden. Sie lassen sich aber auch für Unterrichtsvorhaben in anderen Fächern adaptieren: In Schreibprozessen der Sprachfächer, in Designprozessen im Bildnerischen Gestalten und TTG, in forschend-entdeckenden Lernumgebungen in NMG, in Gestaltungsaufgaben im Sport, in Gestalten von Dokumenten in Medien und Informatik oder im Erforschen und Erkunden arithmetischer Muster in Mathematik.
Mut haben – entspannen – vertrauen – ausprobieren – dranbleiben – flexibel reagieren
Sich auf fachliches und didaktisches Neuland zu begeben, braucht eine Portion Mut. Umso mehr, als das Ziel das eigenständige Erfinden und Gestalten der Schüler·innen ist. Forschen und Entdecken, Explorieren und Experimentieren (im Folgenden: Gestaltungsprozesse) sind mit Unwägbarkeiten verbunden, weil freie Sequenzen schwieriger zu steuern sind. Wenn für dich und die Klasse schülergesteuerte Lernsequenzen neu sind, bedarf es einer längeren Gewöhnungsphase, bis die ungewohnte Arbeitsweise etabliert ist. Also gehe die Sache ruhig an.
Es wird produktiv, wenn du dir und den Kindern genügend Zeit gibst. Schaffe eine entspannte Arbeitsatmosphäre, die die Kinder zum Experiment ermutigt. Die Kinder sind motiviert, Neues zu entdecken und zu gestalten. Aber sie haben (noch) keine Strategie, wie man eigenständig forscht und entwickelt.
Gestaltungsprozesse sind keine Selbstläufer. Du bist gefordert: beim Anleiten und Begleiten, mit potenten Aufgabenstellungen und sozialer Unterstützung. Vertrauen und Mut sind das eine, doch kreative oder forschende Prozesse erfordern auch Durchhaltewillen. Jetzt gilt es, die Gestaltungen voranzutreiben (Lösungen zu verwerfen und neu anzufangen, an der performatorischen Qualität zu arbeiten, etc.). Dazu braucht es von deiner Seite Anpassungs- und Durchsetzungsfähigkeit. Gefragt ist nun ein flexibles Agieren, das die Schüler:innen situativ unterstützt und die Gestaltungsprozesse moderiert.
Der Kompetenzflyer bietet einerseits gezielte Anregungen für das Anleiten von Gestaltungsprozessen, andererseits verbindet er diese Anregungen in einem kohärenten System. Wenn man an einem Schräubchen dreht (sprich: einen konkreten Impuls bearbeitet), dann hat das auch Auswirkungen auf weitere Aspekte des Unterrichtens. Zum Beispiel: Stellt die Lehrperson offene Arbeitsaufgaben, so verändert sich ihre Rolle während der Schüleraktivitäten.
Ein Lernweg, bzw. die Bearbeitung einzelner Kompetenzen, könnte so aussehen:
Beispiel eins
Ausgehend vom Unterrichtsmaterial, weiterführend zu dessen didaktischer Aufbereitung, erprobt die Lehrperson einen Lerngegenstand im Unterricht. Sie diagnostiziert Schüler:innen-Reaktionen und modifiziert situativ ihre Anregungs- und Moderationsweise. Aufgrund fachlicher Überlegungen bezieht sie für ihr weiteres Vorgehen neue Materialien ein und bereitet diese fachdidaktisch auf. Vor dem Hintergrund selbstreflexiver Überlegungen zum eigenen Rollenverhalten als Lehrperson, erprobt sie im Unterricht neue Handlungsoptionen.
Diese Iteration betrifft die Kompetenzbereiche in folgender Reihenfolge (vgl. Graphik): (2)[1] (Materialien und Medien) – (1) (fachdidaktische Aufbereitung) – (0) (Durchführung im Unterricht) – (3) (Schülerdiagnose) – (4) (Kommunikation Lehrperson – Schüler:innen) – (5) (fachliche Erweiterung) – (2) (Materialien und Medien) – (1) (fachdidaktische Aufbereitung) – (6) (Selbstreflexion) – (0) (Durchführung im Unterricht).
Indem Du einzelne Kompetenzbereiche und Items im Modell anklickst, gelangst du zu den «Impulsen», den Handlungsanregen und Reflexionsfragen.
Eine weitere Iteration (zur Reflexion des eigenen Lehrer:innen-Handelns) illustriert folgendes Beispiel zu «insistentem Begleiten der Lehrperson», indem es verschiedene Aspekte des Lehrer:innen-Verhaltens als Parcours miteinander verbindet:
Beispiel zwei
In Begleitphasen von Gestaltungsprozessen begleitet die Lehrperson Schüler:innen-Arbeiten zuweilen insistent, indem sie die Kinder wiederholt zu neuen Erkundungen / Erprobungen anhält. Dazu diagnostiziert (3) die Lehrperson den Unterstützungsbedarf der Schüler:innen und sucht gemeinsam nach Problemlösungen (4). Sie zeigt sich damit gegenüber den Schüler:innen interessiert und fordert weitere Lösungsversuche (0). Die Lehrperson bekundet dadurch ihren Durchhaltewillen (6) und bietet spezifische Trainingsmöglichkeiten (1) – (0) an.
Diese Iteration betrifft die Kompetenzbereiche in folgender Reihenfolge: (3) (Schülerdiagnose) – (4) (Kommunikation Lehrperson–Schüler:innen) – (0) (Durchführung im Unterricht) – (6) (Selbstreflexion) – (1) (fachdidaktische Aufbereitung) – (0) (Durchführung im Unterricht).
Weitere Lernwege ergeben sich, wenn die Lehrperson an einer anderen, frei gewählten, Stelle (Kompetenzbereich im Modell) ansetzt und weitere Impulse bearbeitet.
[1] Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Kompetenzbereiche im Modell.
Die einzelnen Kompetenzbereiche sind:
1 Fachdidaktische Kompetenzen
Die fachdidaktischen Kompetenzen beziehen sich auf Anleitungsstrategien in offenen Lernsettings, in denen Schüler·innen eigenständig arbeiten. Zentral sind dabei der initiierende Input der Lehrperson, die fachlich-soziale Begleitung der Gestaltungsprozesse sowie die Unterrichtsplanung und Strukturierung der Gestaltungsprozesse.
2 Materialien und Medien
Auswahl und Bereitstellung von Materialien und Medien.
3 Diagnostische Kompetenzen
Die diagnostischen Kompetenzen zum Unterrichten in offenen Lernsettings bezeichnen die Wahrnehmung, Beobachtung und Interpretation der Aktivitäten der Lernenden. Sie sind Grundlage formativer Beurteilungen und folgender Unterrichtshandlungen.
4 Sozial-kommunikative Kompetenzen
Die sozial-kommunikativen Kompetenzen bezeichnen Anregungs- und Moderationsstrategien sowie die Interaktionen in Anleitungsprozessen.
5 Fachliche Kompetenzen
Jedes Fach benötigt spezifische Kompetenzen. Beispiel: Das Anleiten musikalischer Gestaltungsprozesse verlangt insbesondere eine spielerische Umgangsweise mit Musik, Gespür für dramaturgische Abläufe sowie Klangvorstellungsvermögen.
6 Personale Kompetenzen
Die personalen Kompetenzen adressieren Einstellungen und Orientierungen der Lehrpersonen. Risikobereitschaft, Gelassenheit sowie Anpassungs- und Durchsetzungsfähigkeit sind zentral.
«Eingreifen oder nicht eingreifen?»
Einerseits steuert die Lehrperson das Lernen durch Planen und Strukturieren. Andererseits muss sie, gerade in offenen Lernsettings, spontan auf das Unterrichtsgeschehen reagieren und schnelle Entscheidungen treffen. Laufend gilt es, das didaktische Spannungsfeld von Anleitung und Offenheit auszubalancieren. Dazu braucht es Improvisationskompetenz. Improvisieren bedeutet, für das Mögliche offen zu sein und Spielräume zu erweitern.
Die Lehrperson hält dabei die eigene Planung so, dass Unvorhergesehenes in den weiteren Unterrichtsverlauf integriert werden kann. Zum Beispiel durch Zeitfenster, die bewusst offen gelassen werden. Pläne dienen als mögliche Struktur, als mögliche Option, die Raum lassen die «Lage vor Ort» zu sondieren und das Potenzial der Situation zu orten. Somit wird Ungeplantes eingeplant.
Experimentieren und Gestalten
  • ermöglichen einen erlebnisorientierten, handlungsorientierten Zugang zu musikalischen Erfahrungen
  • ermöglichen eigenschöpferisches Schaffen und das Erleben von Autorenschaft
  • laden ein, die eigenen Intuitionen wahrzunehmen und auszudrücken
  • lassen assoziatives Arbeiten zu
  • motivieren zu eigenständigen Lernwegen und Lösungen
  • fördern die Interaktion und das Aufeinander-Hören
  • sensibilisieren für den Fachgegenstand
  • entwickeln ein Gespür für dramaturgische Verläufe
  • trainieren die Auftrittskompetenz in verschiedenen Darstellungsformen
  • eignen sich für das Gespräch (z. B. über die Qualität von Darbietungen)
Für das Anleiten von Gestaltungsprozessen ist zentral:
  • das unterrichtliche Handeln auf die Lernprozessförderung auszurichten
  • Aufgabestellungen anregend zu präsentieren
  • Diagnostik zur Bestimmung weiterführender Unterrichtsschritte einzusetzen
  • die Kommunikation von Lehrenden und Lernenden auf Kreativitätsförderung auszurichten
  • Freiräume zu schaffen, die Schüler:innen eigengestalterisches Arbeiten ermöglichen
  • Präsentations- und Reflexionsformen zu schaffen, welche die Schüler:innen anregen, ihre Arbeitsprozesse zu hinterfragen und eigenständig weiterzuentwickeln
  • eine didaktisch-improvisierende Handlungsweise zu erproben, die Unvorhergesehenes situativ nutzt und in die weitere Planung von Unterricht integriert
Wie wird der Einstieg in die Unterrichtssequenz gestaltet?
  • Mit welchen Aufgaben sollen die Schülerinnen und Schüler die Lerninhalte und Lernziele bearbeiten und erreichen?
  • Wie lauten die konkreten Auftragsformulierungen bzw. Arbeitsanweisungen?
  • Welche Veranschaulichungen, Modelle oder Unterrichtsmedien werden verwendet?
Überprüfe deine Aufgabenstellungen an folgenden Qualitätskriterien. Prozessinitiierende Aufgaben
  • repräsentieren Kernideen des Fachgegenstands
  • fördern fachspezifische Kompetenzen
  • repräsentieren Denk- und Handlungsformen eines Fachgegenstands
  • sind anschaulich und greifbar
  • überraschen und machen neugierig
  • irritieren und fördern divergierendes Denken und Handeln
  • kreieren neuartige Situationen und werfen Fragen auf
  • laden ein, die eigenen Intuitionen wahrzunehmen und auszudrücken
  • lassen assoziatives Arbeiten zu
  • motivieren zu eigenständigen Lernwegen und Lösungen
  • fördern das Verstehen fachgegenstandsspezifischer Wirkungen und Funktionsweisen
  • schärfen die Wahrnehmung und entwickeln die Vorstellungskraft
  • ermöglichen ästhetische Erfahrungen
  • laden zum Austausch darüber ein
  • erlauben verschiedene Denk- und Verfahrenswege
  • lassen sich auf unterschied­lichen Niveaus lösen
  • sind differenzierungsfähig
  • fördern selbstständiges und koopera­tives Lernen
  • zielen auf ein musikalisches Produkt, das beurteilt, diskutiert und weiterent­wickelt werden kann
  • variieren den Grad der Selbststeuerung (Lerntempo, Lernort, Arbeitsform, Inhalte, Ziele) und Selbstkonstruktion (enge, halb offene und offene Aufgabenstel­lungen)
  • bauen bei den Lernenden ein mentales (Hör-)Bild
Beispiele für Impulsfragen von Lehrpersonen, mit denen die Schüler und Schülerinnen zur Reflexion performatorischer Aktionen und Interaktionen angeregt werden können:
  • Wodurch entsteht Aufmerksamkeit beim Zuhören/Zuschauen?
  • Wodurch wirkte die Performance spannend?
  • Gab es für euch neue, unbekannte Spielweisen oder Darstellungsweisen?
  • Gab es Phasen, Teile, während der die Performance besonders intensiv war? Wodurch entstand diese Intensität?
  • Wo wären mehr Kontraste (laut-leise, schnell-langsam, hell-dunkel) möglich?
  • An welchen Stellen gab es Überraschungen? Pausen?
  • Wie könntest du dich noch markanter ausdrücken?
  • Wie könnt ihr euer Zusammenspiel (neu) organisieren?
Reflexionsfragen an die Lehrperson, um sich ein Bild der unterrichtlichen Vorgänge zu verschaffen (nach Handschik 2015):
  • Haben die Schüler und Schülerinnen ihre Experimente/Gestaltungen/Vorträge selbst ernst genommen?
  • War die Performance Resultat bewusster und kontrollierter Handlungen?
  • Mit welcher Intensität wurden die Klänge vorausgehört und realisiert?
  • Wurde die performatorische/kompositorische Idee erkennbar umgesetzt?
  • Wurden die getroffenen Entscheidungen oder Vereinbarungen konsequent verfolgt?
  • Wie haben die Vortragenden interagiert? Hat die Kommunikation funktioniert?
Das Formular enthält Beobachtungsaspekte für die Beurteilung von Schülerarbeiten durch die Lehrperson. Damit kann die Lehrperson gezielt einzelne Beobachtungsfokusse setzen und differenziert rückmelden.
Beurteilungsaspekte Gestaltungsprozesse (Download als PDF)
Bernhard Suter unterrichtet Fachdidaktik Musik an der PH Zürich.