Didaktisches Design von videobasierten Selbstlernangeboten
... and simple (Ablenkung vermeiden)
Lernvideos müssen keine hollywoodreifen Produktionen sein. Guo, Kim und Rubin (2014) stellen hinsichtlich des Engagements der Lernenden keine Überlegenheit professioneller Studioproduktionen fest. Im Gegenteil: Informelle Settings können sich sogar positiv auswirken. Allerdings sollte alles, was vom Ziel des Videos ablenkt (Spezialeffekte, Hintergrundmusik und/oder -geräusche), vermieden werden (Buchner 2019, 4).
Bei der Auswahl oder Produktion von Lernvideos kommt es in erster Linie auf die Passung des Schwierigkeitsgrades mit der Leistungsfähigkeit der Lernenden an. Es geht darum, die kognitive Beanspruchung zu optimieren. Da das menschliche Gehirn nur wenige Dinge gleichzeitig behalten und verarbeiten kann, ist es wichtig, dass möglichst wenig Ablenkung vorhanden ist. Dies gilt vor allem dann, wenn das Vorwissen gering ist.
Der Grundgedanke eines Lernvideos muss sein, die Aufmerksamkeit am Inhalt aufrechtzuhalten. Dabei haben zusätzliche und überflüssige Informationen nichts zu suchen. So ist zum Beispiel eine Strichzeichnung einer hochauflösenden Fotografie vorzuziehen, weil Letztere viele Details enthält, die Lernende herausfiltern müssen. Eine Strichzeichnung enthält normalerweise nur das Wesentliche und reduziert daher die kognitive Beanspruchung. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Vereinfachung von Inhalten nicht dazu führt, dass Studierende sich weniger lange damit auseinandersetzen, weil sie das Video als zu einfach bewerten. Studien deuten darauf hin, dass sich dann die Erinnerungsleistung wieder verschlechtert (Kerres 2018, 175 f.).
Lehrfilme und Erklärvideos sollten den Studierenden in erster Linie helfen, Wissen aufzubauen. Spannende, unterhaltsame oder irrelevante Passagen in Videos lenken ab und stören bei der kognitiven Verarbeitung. Ein Video zur Entstehung von Gewittern ist weniger lernwirksam, wenn neben den wissenschaftlichen Details spektakuläre Bilder von Unwettern zur Illustration gezeigt werden (Mayer und Fiorella 2014, 284). In solchen Videos sind zusätzlich eingeblendete Fenster mit Dozierenden ebenfalls eher hinderlich, weil sie vom Wesentlichen ablenken.
Sichtbarkeit der erklärenden Person
Die Frage, ob im Video sichtbare Dozierende (Bild-in-Bild-Lösung, Talking Head) eher eine Ablenkung darstellen oder lernförderlich sind, ist nicht abschliessend geklärt. Teilweise gibt es widersprüchliche Ergebnisse. Wermeskerken, Ravensbergen und Gog (2017, 436) konnten mittels Eyetracking zeigen, dass eine Sprecherin oder ein Sprecher 30 Prozent der visuellen Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit von anderen Informationen, zum Beispiel Folien, ablenkt. Studierende behalten bei Slidecasts eher die Aufmerksamkeit, wenn die Sprecherin oder der Sprecher nur zu hören ist (Chen und Wu 2015).
Umgekehrt zeigen Chen und Wu (2015), dass Videos, bei denen Dozierende eingeblendet werden, lernwirksamer sind als reine Slidecasts. Tendenziell fördert dies den Lernprozess eher, als dass es ihn behindert. Ist die Sprecherin oder der Sprecher gross im Bild zu sehen, reduziert das die kognitive Belastung (die mentale Anstrengung, die aufgebracht werden muss, um neue Informationen zu erfassen) und erhöht die emotionale Beteiligung. Dabei gibt es Unterschiede im Hinblick auf die Taxonomiestufen. Für die Lernzielebenen Erinnern und Verstehen erzielen Videos mit Sprecherbild bessere Lerneffekte (Sahasrabudhe und Kanungo 2014 zitiert nach Persike 2019b). Und Slidecasts mit eingeblendeten Talking Heads sind in der Regel ansprechender als reine Folien (Guo, Kim und Rubin 2014).
Wichtiger als die reine Präsenz der Dozierenden ist die kohärente Gestaltung von Videos. Lehrende können durch Gestik und Blickrichtung die Aufmerksamkeit der Studierenden steigern (Ouwehand, Gog und Paas 2015). Insofern muss ein Zusammenhang bestehen zwischen dem, was eine Sprecherin oder ein Sprecher sagt, und dem, was daneben im Video zu sehen ist. Diese Kohärenz wirkt entlastend und hat in Talking-Head-Videos eine grössere Bedeutung (Schmidt-Borcherding und Drendel 2021).
Ausserdem darf man nicht vergessen, dass die Sichtbarkeit der erklärenden Person motivierend sein kann. Sicherlich hilft es, wenn Lernende der Stimme im Video ein Gesicht zuordnen können. Mimik und Gestik stellen eine emotionale Beziehung her. Es könnte aber auch sein, dass eingeblendete Sprecherinnen oder Sprecher als monoton wahrgenommen werden und so wiederum eine Ablenkung darstellen. Dozierende sollten sich am Beginn des Videos zeigen, zum Beispiel begrüssen, das Thema und die Lernziele erläutern und die Studierenden zum aktiven Lernen einladen. Anschliessend wird das Bild ausgeblendet. Spätestens am Ende oder bei wichtigen Passagen können die Sprechenden wieder in den Vordergrund treten (Buchner 2019, 34).
- Habe ich den Dreh meines Videos gut vorbereitet (Drehbuch, Texte, Visualisierungen)?
- Habe ich die Vorkenntnisse meiner Lernenden berücksichtigt, auf unnötige Informationen verzichtet und einen passenden Grad der Vereinfachung gewählt?
- Bin ich als Dozentin oder Dozent zumindest am Beginn und am Ende zu sehen?